Alles nur Fantasterey
Fantasy, Märkte, Ritterspiele – noch immer hat es Konjunktur, das vermeintliche Mittelalter und die pseudomittelalterliche Sprache: Geschraubte Formulierungen und Ypsilon-Worte wie „Gaukeley“, „sey“, „meyn“ und „Fräuleyn“, weil sich der Aberglaube hält, Ypsilon statt „i“ sei ein besonderes Merkmal der mittelalterlichen Sprache. Auch die Serie Game of Thrones macht es bei einer der Hauptfiguren (Daenerys Targaryen) nicht besser. So wenig „Kanak Sprak“ etwas mit Türkisch zu tun hat, so wenig hat dies mit dem Mittelalter zu tun.
Sprache der Gelehrten, Sprache der Laien
Schon deswegen, weil die universale Sprache des Mittelalters Latein war. Die Laien hingegen sprachen ihre allesamt aus dem Germanischen entstandenen Mundarten, etwa das Altsächsische und das Althochdeutsche, unterteilt durch die Sprachgrenze der „Benrather Linie„. Sie haben kein Ypsilon, zumindest nicht ausgesprochen als ein „i“. Im Altenglischen, ebenfalls aus dem Germanischen entstanden, existiert ein Ypsilon, teils mit Längenzeichen; ausgesprochen wird es als „ü“ (ac alȳs ūs of yfele = „sondern erlöse uns von Übel“), ebenso im Altirischen (drȳ = Zauberer).
Flickenteppich
Die mittelalterlichen Sprachen der Laien waren regionale Mundarten (z.B. altsächsisch, altfriesisch, altfränkisch, altbairisch). Sie bildeten die Gruppe der Westgermanischen Sprachen. Denn wie das Altenglische stammt das Althochdeutsche (750–1050) aus dem Germanischen. Doch was ist das für eine Sprache?
Sprache der Krieger und Zauberer: Althochdeutsch
Schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit existieren, wenn auch selten. Sie besingen kriegerische Ereignisse, so das Hildebrandslied (830/840) und das Ludwigslied (882). Letzteres beginnt mit der Zeile: Einan kuning uueiz ih, Heizsit her hluduig („Ich kenne einen König, er heißt Ludwig“). Außerdem die berühmten Merseburger Zaubersprüche. Aus dem 8. oder 9. Jahrhundert stammend, enthalten sie einen Zauber zur Heilung eines verletzten Pferdefußes sowie einen Zauber zum Lösen der Fesseln eines gefangenen Kriegers: Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder. / suma haft heftidun, suma heri lêzidun, / suma clûbodun umbi cuniowidi: / insprinc haftbandun, infar wîgandun. („Einstmals setzten sich Frauen, setzten sich hierhin und dorthin. / Einige hefteten Hafte, andere hemmten das Heer, / andere nesteln an festen Fesseln: / Entspring den Banden, entweich den Feinden“).
Liebe und Helden: das Mittelhochdeutsche
Im Hochmittelalter (1050–1350) vereint das Mittelhochdeutsche ebenfalls eine Reihe von Mundarten und wird mit dem edlen Geschlecht der Staufer verbunden. Deren Herrschaft sorgte lange für Stabilität. So konnte sich eine kulturelle Blüte herausbilden, zu deren berühmtesten Schriftzeugnissen der Parzival, das Nibelungenlied und Tristan gehören. Berühmt ist der Anfang des Nibelungenlieds: Uns ist in alten maeren wunders vil geseit. („In den alten Geschichten wird uns viel Wundersames erzählt“). Bekannt ist auch die Manessische Liederhandschrift (um 1300) mit Minnelyrik und Autorenporträts. Auch Codex Manesse genannt, versammelt sie die Celebritys jener Jahrhunderte:
- Walther von der Vogelweide,
- Wolfram von Eschenbach,
- Hartmann von Aue
- und viele andere Vertreter der sogenannten höfischen Dichtung.
Lesen und Schreiben? Fehlanzeige!
Die Mehrheit der Bevölkerung hingegen konnte weder lesen noch schreiben. Wie sprachen sie? Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich ihre unterschiedlichen Mundarten und Dialekte. Das Frühneuhochdeutsche (ab 1350), aus dem sich mit der Zeit unser modernes Deutsch entwickelte, leitet historisch bereits zur Frühen Neuzeit über. Und erst da begegnet ein Ypsilon für ein „i“! Beispielsweise zur Zeit des Reformators Martin Luther (1483-1546) (deyn reych kome = „dein Reich komme“).
Urahnin mit vielen Enkeln
Die Veränderungen, welche die Sprachen in den Jahrhunderten durchlaufen haben, zeigen eine gewisse Gesetzmäßigkeit und sind in den Sprachen zu beobachten, die zu einer größeren Sprachfamilie gehören. Deswegen kann man diesen Wandel auch erforschen und beschreiben. An drei Beispielen lassen sich solche Veränderungen gut zeigen:
- Althochdeutsch guotî wird zu mittelhochdeutsch güete, neudeutsch „Güte“;
- althochdeutsch skôni wird zu mittelhochdeutsch schœne, neudeutsch „schöne“,
- althochdeutsch mahtîg wird zu mittelhochdeutsch mähtec, neudeutsch „mächtig“.
Es macht großen Spaß, sich auf diese Weise die Herkunft von Worten und Begriffen vor Augen zu führen und ganz neue Sinnzusammenhänge zu entdecken. Klar wird auch, dass viel mehr Sprachen als nur unser Deutsch auf das Westgermanische zurückgehen.