Geistliche oder weltliche Macht? Eine ungewöhnliche Frage in einer Zeit, in der die Trennung von Staat und Kirche im Grundgesetz festgeschrieben ist. In der Geschichte Europas spielt allerdings das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht eine große Rolle. Denn über viele Jahrhunderte bestand eine besonders enge Verknüpfung von Staat und Kirche, und zwar in den Epochen vor der Aufklärung und der Französischen Revolution. Der erste Kaiser, der sich vom Papst in Rom krönen ließ und seinerseits die Kirche unter seinen Schutz stellte, war Karl der Große (747/748–814). Die Krönung des Karolingers in Rom begründete das westliche Kaisertum des Mittelalters.
Die von Gott verliehene Macht der Monarchie
Die Herrscherhäuser des Mittelalters waren von dem Glauben geprägt, dass sie ihre Herrschaft Gott verdankten. Auf den berühmten Krönungsdarstellungen mittelalterlicher Kaiser ist das ganz konkret dargestellt: Es ist der thronende Jesus Christus höchstpersönlich, der beispielsweise dem ottonischen Kaiser Heinrich II. (873/878–1024) die Reichskrone auf das Haupt setzt
Das Herrscherhaus der Ottonen bringt so seine Legitimation zum Ausdruck. Gott selbst hat ihnen ihre Herrschaft verliehen. Daher rührt auch der Name des Reiches: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation – ein aus der römischen Antike hergeleitetes Reich, dessen Herrschaft Gottes heiliger Wille zugrunde liegt.
Macht als Anspruch – das Reisekönigtum
Die Tatsache, dass man Gott selbst bemühen musste, um die eigene Macht zu legitimieren, verweist bereits auf ein großes Problem: den Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Tatsächlich hatten die meisten mittelalterlichen Herrscher mit der Sicherung ihrer Macht und den Territorialstaaten vor allem an den Rändern des Reiches viel zu tun. Da es keine gesicherten Landesgrenzen gab, waren beispielsweise die Kaiser von der fränkischen Zeit bis ins Spätmittelalter gezwungen, von Pfalz zu Pfalz zu reisen, um die Fürsten und den Zusammenhalt des Reichs zu kontrollieren, aber auch um die Angriffe feindlicher Stämme und Völker von außen abzuwehren.
Einer für alle – alle für einen?
Nicht immer waren die weltlichen Fürsten das, was sie sein sollten: loyale Gefolgsleute des Kaisers. Vielfach waren sie von eigenem Ehrgeiz getrieben und strebten nach Vermehrung und Erweiterung ihrer Macht. Um die Stabilität des Reiches und seiner Herrschaft zu sichern, ging Kaiser Otto II. (955–983) deswegen mit den Vertretern der Kirche auf vielfältige Weise Bündnisse ein. So stiftete oder förderte Otto II. etwa Klöster. Zu seinen wichtigsten Beratern gehörten berühmte Mönche wie Ekkehard von St. Gallen.
Bereits der Vater Ottos II., Otto der Große (912–973), hatte sich bei der Krönung von einem Bischof salben lassen, eine Zeremonie, die wiederum die geistliche Legitimation seiner weltlichen Herrschaft erhöhen sollte, und sich damit in die Nachfolge Karls des Großen gestellt.
Bischöfe und Äbte wurden ihrerseits mit Lehen und Regalien ausgestattet und mussten im Gegenzug Reichsdienst leisten. Auf diese Weise sicherten sich die Ottonen möglichst große Unterstützung gegen die Reichsfürsten, die im Wettstreit um die weltliche Macht oftmals zu Konkurrenten wurden. Auch bestand bei den Lehen, die an kirchliche Würdenträger vergeben wurden, nicht die Gefahr, dass der Kaiser diese Territorien und Güter verlor. Denn die Vertreter der Kirche hatten keine Nachkommen und das Lehen fiel nach dem Tod des Geistlichen wieder zurück an den Kaiser.
Die Reichskirchen zwischen Papst und Kaiser
Der Machtzuwachs auf Seiten der Kirche, der oft dazu führte, dass Äbte oder Bischöfe zugleich zu Landesfürsten wurden, war willkommen, bot doch das enge Verhältnis zum Kaiser den kirchlichen Vertretern die Möglichkeit der Machtausübung. Die mit Herrschaftsrechten ausgestatteten Hoch- oder Reichskirchen stellten besonders in der ottonisch-salischen Zeit ein willkommenes Gegengewicht zur Macht der weltlichen Fürsten dar. Doch regte sich vor allem angesichts des Ausmaßes, wie sich materieller Reichtum in so manchem Erzbistum oder Kloster anhäufte, Widerstand aus der Kirche selbst. In den Kirchenreformen des 11. Jahrhunderts spielt daher auch eine vermehrte Loslösung der Kirche von der weltlichen Macht eine große Rolle.
Der Begriff des „Reichskirchensystems“
Die Vorstellung eines kirchlichen Machtsystems als Gegengewicht zur Macht weltlicher Fürsten, das Otto der Große nach Meinung einiger Historiker geplant und er sowie sein Sohn Otto II. initiiert und ausgeweitet haben sollen, stößt in der Geschichtswissenschaft auf berechtigte Kritik. Methodisch fragwürdig ist die Übertragung moderner Denkweisen und einer streng sachlichen Rationalität sowie eines planvollen Konzepts auf das Mittelalter, wie sie der Begriff des Systems beinhaltet.